Aus dem Esoterik-Führer
von David Luczyn
Wir leben
in einer Zeit, in der der Mensch sich mehr und mehr von sich selbst
entfremdet und seine Identität aus den von Mode und Trends
vorgegebenen Äußerlichkeiten definiert. Diese Orientierung
an den Werten und Vorlieben der Masse gibt Sicherheit und Anerkennung,
läßt aber letztendlich das Individuum seelisch, zwischenmenschlich
und kreativ verarmen. Esoterik ist nichts Neues, im Gegenteil:
Vieles von dem, was Sie hier und heute sehen, lesen und erfahren
können, hat weit zurückreichende Wurzeln in alten Kulturen
und Religionen. Unter dem Überbegriff Esoterik oder New Age
(Neues Zeitalter) findet sich nun alles zusammen, was an einem
neuen Denken, einem neuen Bewußtsein und an einem neuen
Zeitalter mitgestalten möchte. Das Spektrum ist sehr breit,
und nicht jedem paßt die Zuordnung zum Esoterik oder New-Age-Begriff,
weil er oft zu sensationsheischend oder abfällig von den
Medien durch die Schlagzeilen gezogen wurde.
Esoterik und
New Age sind einfach praktische Überbegriffe, aber kein Eintopf
religiöser Subkultur, als der sie oft dargestellt werden.Was
hat nun die Esoterik zu bieten? Esoterik war ursprünglich
eine Geheimwissenschaft. In fast allen Kulturen gab es kleine
Gruppen von "Eingeweihten", die um den Sinn des Lebens
wußten, ihn bewahrten und an wirklich motivierte Sucher
weitergaben; ob das nun Druiden, Schamanen, Magier,Hexen (im positiven
Sinne), Geheimbünde oder Orden (z. B. Essener, Rosenkreuzer,
Freimaurer) oder Religionsstifter (wie Buddha und Christus) waren.
Sie "wußten" mehr und lehrten es.
Was ist Esoterik?
In allen großen
Religionen gibt es deutlich unterscheidbare exoterische und esoterische
Aspekte. Die Organisationsstruktur (z. B. Kirche), das etablierte
Dogma und Ritual, ihre Vertreter (Priester) sowie die "offiziellen"
heiligen Schriften sind der exoterische Aspekt einer Religion.
Sie beschreiben die religiösen Verhaltensregeln und den Glauben
für die Masse, der von einem obersten, weltlich-geistlichen
Vertreter wie etwa dem Papst repräsentiert wird. Beispiele
für esoterische Bewegungen sind im Christentum die Gnostiker,
im Islam die Sufis, im Hinduismus die Tantriker und im Judentum
die Kabbalisten.
Das Gemeinsame
aller spiritueller Bewegungen ist die Suche nach dem Sinn,dem
Ursprung, dem Göttlichen und dem Ganzen. Genau das möchte
ich Ihnen hiermit ans Herz legen: Nach innen zu schauen und neue
Wege des Denkens, Fühlens und Lebens zu versuchen. Das Risiko
wagen, den Trampelpfad der Massen in die globale Katastrophe verlassen
und Ihren ureigensten Weg der Selbstfindung und Selbstverwirklichung
suchen und gehen und damit verantwortlich für sich selbst
und Ihre direkte Umwelt werden.
So läßt
sich vielleicht das Ausmaß der Innenweltverschmutzung und
damit auch der Umweltzerstörung verringern. Vieles von dem,
was heutzutage im esoterischen Bereich angeboten wird, ist aus
dieser Suche heraus gewachsen, hat Menschen und ihr Leben verändert,
ihnen Sinn, Kraft und Hoffnung gegeben.
Allerdings
gibt es auch in esoterischen Kreisen vielerlei Unkraut, Trittbrettfahrer
und Nutznießer. Hier sind die gleichen Mechanismen wie Macht,
Geltungsbedürfnis und Kommerz wirksam wie in anderen gesellschaftlichen
Kreisen (Wirtschaft, Politik, Kirche). Aber auch sogenannte Unkräuter
oder giftige Pflanzen können im gewissen Rahmen und richtiger
Dosierung nützlich und heilend sein. Die Spreu vom Weizen
zu trennen, ist ein Teil des esoterischen Weges und eine Fähigkeit,
die gelernt sein will. Sie reift in dem Maße, wie Sie Vertrauen
in Ihre Intuition und Ihre innere Stimme gewinnen.
Ein weiteres
Ziel ist die Ablösung oder Ergänzung der einseitig materiellwissenschaftlich
orientierten Weltanschauung durch die Wiederentdeckung der ursprünglichen
Einheit von Körper-Seele-Geist (holographisches Welbild)
bzw. Mensch-Kosmos-Gott.
Die zugrundeliegenden
Prämissen sind:
l) Der Vorrang
des Geistes über die Materie. Dieser Geist ist ein göttlicher
Geist, und der Mensch ist ein irdischer Aspekt eines kosmischen,
göttlichen Lebens.
Was will Esoterik?
2) Der Vorrang
des Individuums, d.h. nicht die gesellschaftlichen Zwänge
formen das Bewußtsein, sondern ein individueller Bewußtseinswandel
ist Voraussetzung gesellschaftlicher Transformation.
Der chinesische
Weise Laotse drückte das zu seiner Zeit so aus: "Wollte
der Kaiser sein Reich in Ordnung bringen, schaffte er erst Ordnung
an seinem Hofe, zuvor jedoch in seiner Familie und davor bei sich
selbst."
Esoterik versucht
daher, theoretisch, praktisch und experimentell den Menschen den
"Delphischen Spiegel" vorzuhalten, der sagt: "Erkenne
dich selbst" oder - wie es heute oft heißt - "Sei,
der du bist".
Esoterik und
Meditation sind "in". Anerkannte Physiker und Wissenschaftler
wie Fritjof Capra, Peter Russell, Francisco Varela, linke Politiker
wie Rudolf Bahro, weltbekannte Künstlerinnen wie Shirley
MacLaine, Penny McLean sind zu Sprechern einer Bewegung geworden,
die sich mittlerweile nicht mehr als Mode oder Zeiterscheinung
abhandeln läßt. Das haben auch die Medien, die Manager
und der kommerzielle Markt gemerkt. Esoterik als Lebensphilosophie
und als praktische Lebenshilfe halten Einzug in das weite Feld
des "Neuen Denkens".
Bahro proklamiert
in seinem Buch "Logik der Rettung" den Gottesstaat und
die Regenbogengesellschaft, auch wenn "das New Age Feld mehrheitlich
leider noch platt unpolitisch ist", so wirkt es doch in seinem
"sozialpolitischen Schema auf der dritten Ebene". Nach
seiner Meinung treten "die Menschen unserer Kultur jetzt
massenhaft bewußt in diesen von jung charakterisierten Individuationsprozeß"
ein.
Das Verbindende
der spirituellen Szene scheint mir zu sein, daß sie auf
optimistische, unkonventionelle und experimentelle Art nach neuen
Wegen sucht, um durch individuelle Selbstverwirklichung und Entdeckung
der Eigenverantwortlichkeit etwas am kollektiven Traum(a) zu verändern.
Mein persönlicher
Weg
Mein persönlicher
Weg, abseits der gesellschaftlich anerkannten Trampelpfade, begann
vor 18 Jahren mit dem Studium parapsychologischer Phänomene
(PSI) und parallel dazu mit dem Einstieg in die Philosophie Buddhas:
in seine Erkenntnisse in die Natur menschlichen Leidens und ihre
Überwindung mit Hilfe des "Achtfachen Pfades".
Buddha sprach
bereits vor Tausenden von Jahren von der Illusion und Vergänglichkeit
des Materiellen und lehrte die Bewußtwcrdung subtiler gedanklicher
und psychologischer Mechanismen durch Meditation, (siehe´
Was ist Esoterik? Kapitel Buddhismus). Das Gemeinsame dieser beiden
grundsätzlich so verschiedenen Ansätze war für
mich das Infragestellen unserer "nach-dem-Tod-ist-alles-vorbei"-Ideologie
und die prinzipielle Frage nach dem Sinn des Lebens hier auf der
Erde.
Mein immer
wieder unternommener Versuch, das Geplapper im Kopf zur Ruhe zu
bringen, brachte mich in Kontakt mit verschiedenen Meditationssystemen
wie der Transzendentalen Meditation, ZaZen, Yoga und mit den Lehren
verschiedener Gurus. Am meisten beeinflußte mich dabei der
indische Denker und Antiguru Jiddu Krishnamurti, der mir half,
die Denkmechanismen im menschlichen Wesen zu verstehen.
Weitere Veränderungen
brachte die intensive Auseinandersetzung mit den neuen humanistischen
Psychotherapien, wie der Gestalttherapie von Fritz Perls, Encountergruppen,
Primär- und Schreitherapie, NLP und verschiedene Körpertherapien.
Ihnen verdanke ich meine wiedergefundene Spontaneität, Lebensfreude,
Kreativität, Sinnlichkeit und viel psychologisches Einfühlungsvermögen
im zwischenmenschlichen Bereich. Diese Fähigkeiten und das
dazugehörige Wissen aus meinem Psychologiestudium sind mir
heute bei meiner Arbeit und im Umgang mit Menschen eine große
Hilfe. Dabei möchte ich nicht behaupten, daß alles,
was ich in diesem weiten Feld erlebt habe, positiv und empfehlenswert
war - im Gegenteil:
Eine Vielzahl
von "Psychotechnikern und Pseudotherapeuten" benutzen
das bedürftige Klientel und verwässern das allgemeine
Image. Die in dem emotionalen Swimmingpool der Gruppen leicht
zu erzeugende Euphorie ist ein kurzlebiger Virus, der zwar nicht
unbedingt schädlich ist, aber doch ansteckend sein kann.
Aber das macht es auch gleichzeitig möglich, die eigene Widerstandskraft,
Wahrnehmung und Kritikfähigkeit zu entwickeln und zu stärken.
Und darauf kommt es meiner Meinung nach an.
Mehrere Indienreisen
haben mir die Relativität unserer gesellschaftlichen, ökonomischen
und sozialen Strukturen und Werte veranschaulicht. Seit nunmehr
sieben Jahren bin ich auf der aktiven Seite, organisiere und leite
Gruppen und habe aus meiner wiedergefundenen Kreativität
ein Hobby und einen Beruf gemacht (Fotograf und Künstler).
Ich habe sozusagen "zu mir selbst gefunden". Zur Zeit
arbeite ich als freier Journalist und Redakteur und besuche als
solcher seit vielen Jahren alle größeren esoterischen
und spirituellen Veranstaltungen und kann wohl sagen, die Esoterik
und New Age Bewegung und ihre geistigen Sprecher und Macher relativ
gut zu kennen.
Was will Esoterik?
Ich sehe,
wie sich Freunde und andere Menschen verändern durch Phasen
von Frustration und Zweifel, Hoffnung und Glaube, Introversion
und Extraversion gehen, suchen und finden, dazulernen, wieder
loslassen, in Frage stellen - und umdenken. So ist der Weg: nicht
geradewegs bergauf ins lichte Paradies, sondern immer schön
hoch und 'runter. Je mehr Sie sich selbst dabei kennenlernen und
alten seelischen und emotionalen Ballast loslassen ,um so leichter
geht's bergauf.
Dabei habe
ich gelernt, daß Realitätsflucht, Macht und Geltungsbedürfnis,
Konsum und Kommerzialisierung menschliche Schwächen und Eigenschaften
sind, die überall wirksam sind, ob nun in der Sport- und
Unterhaltungsindustrie, in der Mode, der Politik oder im Esoterik-Bereich.
Der Mensch mißbraucht alles, ob nun den Mitmenschen, die
Natur oder das Atom, aber warum er das tut und wie er es ändern
kann, das sagt ihm kein Wissenschaftler und kein Priester, sondern
nur der Psychologe oder der Esoteriker.
Esoteriker
sind oft beides in einem - und sie können ihm (normalerweise)auch
helfen, es zu ändern. Alle ernsthaften esoterischen und spirituellen
Gruppen wie auch die ganzheitlichen Therapien versuchen - so meine
eigene Erfahrung -, den Menschen sich selbst begreifbar zu machen
und ihm vom Grund auf zur Selbsterkenntnis zu verhelfen: die einen
umsonst, die anderen für Tausende von Mark. Aber auch das
ist ein interessantes menschliches Phänomen: Für viele
schafft der Preis erst den Wert und nicht unbedingt die Qualität.
Das Etikett zählt, ein berühmter Name; etwas kann nur
gut sein, wenn es viel kostet. Davon profitieren auch in der Esoterik-Szene
bestimmte Leute.
Wer manipuliert
also wen: Das Angebot die Nachfrage oder die Nachfrage das Angebot?
Wer ist verantwortlich? Derjenige, der den hohen Preis haben will,
oder der, der so teuer verkauft? Wer verführt wen?
Letztendlich
ist alles relativ. Die Perspektive und der Bezugsrahmen machen
etwas gut oder schlecht. Die Ökofreaks der 70er Jahre sind
die grünen Politiker und Unternehmer der 80er. Die "New-Age-Spinner"
der 80er Jahre sind vielleicht die geistigen Erneuerer der 90er.
Jedenfalls ist es das, wofür sie sich einsetzen.
Literaturhinweise:
Leuenberger,
Hans-Dieter: Das ist Esoterik, H. Bauer 1985
Martin, Bruno:
Handbuch der spirituellen Wege, RoRoRo TB 1985
Farkas, V.:
Esoterik - Eine verborgene Wirklichkeit, Umschau 1990
Wichmann,
Jörg: Die Renaissance der Esoterik, Kreuz Verlag 1990
Binder, Franz:
Erste Schritte auf dem spirituellen Weg, Bauer 1988
|